Die Auflösung des Leids
Beobachtet man den Rauch einer Zigarette, sieht man, wie schnell er sich im Raum verflüchtigt und auflöst. Bläst man den Rauch einer Zigarette jedoch in eine durchsichtige Flasche, kann man beobachten, wie sich dieser Rauch stundenlang darin bewegt und am Ende die Flasche eintrübt.
Wir betrachten mit unserem Alltagsbewusstsein oft unseren Körper auf die gleiche Weise. In dieser „Flasche“, so scheint es, ist alles eingeschlossen: Unsere Gefühle, unsere Gedanken, Erinnerungen und Bilder, ebenso wie unsere Ängste und Sorgen. Manch einer sagt sogar unsere Seele. Diese Betrachtungsweise führt dazu, dass wir leiden und manchmal sogar daran zerbrechen. Tage- und wochenlang werden wir von diesen Eintrübungen gequält, weil unser Bewusstsein nicht mehr klar und transparent ist.
Im Schauen nach Innen wird diese Form aufgebrochen, so dass all das, was uns quält, Raum hat und sich auflösen kann. Der Mensch erfährt sich als ein transparentes und offenes Wesen. Im Grunde ist dieser Körper so leer wie das Weltall. Jeder Mensch kann diese Erfahrung machen. Dabei geht es um den Prozess des Leer-Werdens. Ich kann in ein volles Glas nichts mehr hineintun. Das bedeutet: Wenn ich innerlich voll bin mit Ansichten und Meinungen und Bildern, kann mir nichts geschenkt werden. Deswegen müssen wir uns leer machen. Das ist der Prozess, der in der Meditation stattfindet. Erinnerungen steigen auf, ich erkenne sie und lasse sie vergehen. Ich verdränge nichts, lasse alles los und wende mich immer wieder dem zu, was jetzt ist: Dieses Geräusch, dieses Gefühl, dieser Augenblick. Dabei beurteile ich nichts, ich lasse es geschehen. „Dein Wille geschehe“. Ich fließe mit und vertraue auf das, was mich trägt und uns alle verbindet.
W. Walter
Die zweite Geburt
Stellen Sie sich vor, Sie und die ganze Welt wären in einem riesigen Betonklotz eingeschlossen – eine grausige Vorstellung. Bäume hätten keine Möglichkeit mehr, um zu wachsen, Vögel könnten nicht mehr fliegen, Kinder könnten nicht mehr herumtollen, Autos könnten nicht mehr fahren, die Sonne könnte nicht mehr scheinen. Kein Regen kann fallen, der Wind nicht mehr wehen, das Wasser nicht fließen. Augen könnten nichts mehr sehen und Ohren nichts mehr hören. Wir könnten weder essen, noch trinken, noch wäre uns möglich, uns zu bewegen. Kurz gesagt: Wir könnten weder leben, noch miteinander in Beziehung treten. Keine Form wäre möglich und selbst der Tisch wäre kein Tisch mehr. Es gäbe keine Freiräume mehr, weder für uns, noch für die anderen. Sie könnten nicht einmal diesen Artikel lesen.
Und doch gibt es Menschen, die wie versteinert leben. Eingemauert mit ihren Ansichten, Meinungen und Konzepten über sich und die Welt haben sie die Räume in sich zugestellt und angefüllt, bis sie nicht mehr in der Lage sind, vom Schicksal und Leid anderer angerührt zu werden. Sie haben Schutzwälle um sich herum aufgebaut, bis sie am Ende isoliert und einsam nicht mehr darüber hinausschauen können.
„Wenn der Wind durch die Weiden weht, fliegen die wolligen Samenbällchen davon“, heißt ein Koan im Zen. Dieser Satz bezieht sich auf die Leerheit des Raumes und auf das Potential des Wachstums in dieser Leerheit. Wir haben vergessen, welche immense Bedeutung dem leeren Raum zugrunde liegt. Wir können uns darin bewegen und atmen. Wir haben die Möglichkeit zu hören und gehört zu werden. Wir leben in einem Bewusstseinsraum, doch dies ist nur wenigen bewusst. Dieser unendliche Raum liegt jedoch nicht nur außerhalb, sondern in gleicher Weise in uns. Samenbällchen fliegen davon. Jeder bewusst erlebte Augenblick lässt uns innerlich wachsen, wenn wir ihm Raum geben.
Das Baby verlässt nach neun Monaten die Enge des Mutterleibes und betritt die Weite der Welt voller Möglichkeiten. Nach dieser ersten Geburt entdeckt es die Vielfalt der Formen und des Intellekts. Doch das Leben hält noch eine zweite Geburt für uns bereit: Die Entdeckung der inneren Welt. Erst wenn Innen und Außen im Gleichgewicht sind, werden wir zu ganzen Menschen. Die Frage, die sich für uns stellt ist: Können wir uns wie ein Samenbällchen tragen lassen und haben wir Vertrauen zu uns und zu dem, was uns trägt? Haben Sie sich schon einmal in Ihre eigene Weite hineingespürt?
W. Walter E'un-Ken www.zen-walter.de
Die menschliche Vernetzung
Es gibt Augenblicke, da denke ich, die Zeit ist überreif für ein neues Wirklichkeitsbild, für ein neues Verständnis von Wirklichkeit. Noch nie stand so viel auf dem Spiel für uns Menschen auf diesem Planeten Erde, irgendwo am Rande des Universums. Die Situation der Menschheit ist so ernst, dass wir uns dem Allernächsten und Konkreten, dem Augenblick zuwenden müssen. Dazu reicht der „gesunde Menschenverstand“ jedoch nicht aus. Wir feiern Durchbrüche in Wissenschaft und Technik, doch ein Verständnis für uns und das, was wir Bewusstsein nennen, fehlt uns größtenteils. Wir haben die Welt im World-Wide-Web-Standard vernetzt, aber noch nicht erkannt, dass auch wir Menschen untereinander vernetzt sind. Unser Irrtum besteht darin, anzunehmen, getrennt von den anderen zu sein, getrennt von dem, was wir wahrnehmen und erfahren. Im Grunde ist unser Körper ein energetisch verfestigtes Raum-Zeit-Muster. Wenn sich Quantenphysiker diesen massiven Teilchen mit Spezialsonden nähern, stellen sie fest, dass da im Grunde nichts Massives existiert, nur schwingende Energie, die nicht von dem getrennt ist, was wir aus Außen erfahren.
Schon immer haben Menschen, die sich auf einen Weg nach innen eingelassen haben, das erfahren, was die Wissenschaft heute bestätigt. Wir leben in einem Meer unbegrenzter energetischer Möglichkeiten. Physiker sprechen von virtueller Energie und Potenzialität. Wir schwimmen gleichsam in einem Meer von Kreativität, in einem universellen Informationsfeld, das unendlich viel mehr Geistkapazität speichert, als wir Menschen mit unserem kleinen Verstand in der Lage sind.
Christian de Duve, Träger des Nobelpreises für Medizin, hat gesagt: „Das Universum ist kein kosmischer Gag, sondern ein bedeutungstragendes Gebilde, das so beschaffen ist, dass es Leben und Geist hervorbringt. Es muss zwangsläufig denkende Wesen entstehen lassen, die Wahrheit erkennen, Schönheit schätzen, Liebe empfinden, sich nach dem Guten sehnen, das Böse verachten und Geheimnisse erleben.“
Vielleicht ist die technische Vernetzung die große Chance für uns, auch die menschliche Vernetzung zu erkennen und aus unserem ganzen Herzen danach zu handeln.
W. Walter E'un-Ken www.zen-walter.de
Friede auf Erden
Angesichts der angespannten politischen Lage scheint die weihnachtliche Botschaft vom „Frieden auf Erden“ eine utopische Forderung zu sein. Entführungen, Selbstmordattentate und Terrorismus bedrohen unsere Gesellschaft und die Bilder im Fernsehen verfehlen nicht ihre Wirkung. Manchmal packt uns eine heimliche Wut und wir entwickeln individuelle Strategien, wie Frieden erreicht werden könnte. Der Verstand sagt uns, wir müssen den Feind vernichten. Hinter dieser Anschauung steht unser mentales Ich-Bewusstsein, das im Grunde immer darauf aus ist, dass die Welt so ist, wie wir sie uns vorstellen.
Wenn wir von diesem Ich sprechen, meinen wir, es handle sich um etwas Permanentes und Dauerhaftes. Doch der Schein trügt. Unser Ich ist etwas Fließendes, es verändert sich ständig. Man könnte es vergleichen mit einem Kriegsschauplatz, an dem sich ständig die Fronten verändern. Wir erleben eine ganz individuell eingefärbte Wirklichkeit und neigen dazu, die eine Seite zu bevorzugen und die andere Seite abzulehnen. Wir wollen die Sonne ohne den Schatten, Gesundheit ohne Krankheit, Leben ohne Tod. Das schafft die eigentlichen Probleme in uns. Wir können das Leben nicht so akzeptieren, wie es ist. Doch wirklicher Frieden hat nichts zu tun mit äußeren Bedingungen. Wirklicher Frieden kann nur in uns sein. Vielleicht ist das Negative, das wir im Außen wahrnehmen nur ein Spiegelbild für unser Inneres?
Alle Probleme dieser Welt entstehen im Grunde nur dadurch, dass wir den Anderen verändern wollen und uns selber dabei vergessen. Es hilft also nichts, religiöse oder politische Anschauungen zu verändern, wir müssen uns selbst verändern. Im Grunde können wir nur da Frieden schaffen, wo wir sind, hier und jetzt. Das ist unsere große Chance.
Wenn wir die Welt verändern wollen, hilft es nichts, Terroristen zu erschießen. Das hat noch nie funktioniert. Wenn wir wirklich diese Welt verändern wollen, müssen wir beginnen, uns selbst zu verändern. Wir entwickeln unser Bewusstsein weiter und dadurch verändert sich die ganze Welt. Evolution hat immer mit Weiterentwicklung zu tun. Franz von Assisi spricht von „Bruder Sonne“ und „Schwester Mond“ und meint ein tiefes inneres Verbundensein mit dieser Welt und allen Lebewesen. Daraus entsteht eine Liebe, die nichts mehr ausgrenzt und alles umfasst, auch den Terroristen. Wirklicher Frieden ist noch nie durch kluge Worte und Besserwisserei geschaffen worden. Wir müssen Frieden sein.
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Selbsttäuschung
Das Dasein der meisten Menschen gleicht einer Gefängniszelle, in der sie leben. Ihr Gefängnis ist die Hoffnung. Sie beklagen ihren Zustand, sehen aber nicht die eigentliche Wirklichkeit. Sie erfassen aus der Maulwurfperspektive nur den äußeren Schein, aber nicht das Wesen der Dinge selbst, bzw. das, was dahinter liegt. Ihr Weltbild hängt nur ab von ihren subjektiven Anschauungen.
Wir leben zwar in der gleichen Welt, aber jeder sieht die Dinge auf unterschiedliche Weise. Es fällt uns schwer, unser gewohntes Blickfeld zu erweitern, denn der Verlust unserer eigenen Illusionen ist nicht leicht zu ertragen. Aus diesem Grund suchen wir die Zerstreuung. Ein zerstreuter Mensch ist eine tragische Erscheinung. Er glaubt, sich entspannen zu können, indem er Zerstreuung sucht, um so den Anforderungen der Welt zu entfliehen. In Wirklichkeit erreicht er dadurch genau das Gegenteil. Wenn dieser Zustand vorbei ist, wird er noch deprimierter und einsamer. Der Philosoph Manfred Hausmann sagt: „Zerstreuung ist für einen Menschen, der mit sich und dem Leben nicht fertig wird, das gleiche, was der Alkohol für den Erfrierenden ist: eine Scheinhilfe, die den Tod nur beschleunigt.“ Ich glaube, die Wirklichkeit ist uns nur deshalb verhüllt, weil wir sie im vergänglichen Außen suchen.
Christian Morgenstern nennt die Selbstreflexion eine „höhere Form des Müßigganges“. Reflektieren bedeutet in diesem Zusammenhang jedoch nicht über sich nachdenken. Ich meine, wir sollten sein wie ein Spiegel, der die Dinge, die vor ihm auftauchen, kritiklos reflektiert. Dazu ist es notwendig, dass wir uns Zeit nehmen für uns selbst und einfach mal zuschauen, was da in uns auftaucht: Die Wahrnehmung des Körpers, das Spüren des Atems, die Geräusche um uns herum. Die Schwierigkeit besteht darin, nichts daran zu verändern, weil es nicht optimal erscheint. Wie anfällig wir für Selbsttäuschung sind, zeigt sich darin, dass wir uns sogar beim Beobachten des Augenblicks selbst etwas vormachen. Unsere Grundeinstellung sollte sein: Alles darf so sein wie es ist. Auch ich darf so sein wie ich bin. Gedanken tauchen auf und verschwinden spurlos. Wir sollten uns nicht in die Gedankenwelt hineinziehen lassen und uns zu Dolmetschern unserer eigenen Gedanken machen. Wir sollten sie vorbeiziehen lassen, ohne mit ihnen zu kooperieren. Dadurch berühren wir die Ewigkeit. Wir sollten unsere Masken ablegen und damit aufhören, wie ein Schauspieler ständig nur Rollen zu spielen, damit das durchscheinen kann, was wir wirklich sind.
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Bewusstes Lebendigsein
Manchmal habe ich den Eindruck, dass vielen Menschen in unserer Zeit eine rationale und religiöse Sinndeutung ihres Lebens nicht mehr genügt. Sie suchen nach einem Ausweg aus der Begrenztheit ihres Verstandes. Sie sehnen sich nach einer Wahrheit, die nicht mehr verloren gehen kann, nach Angenommensein und Vertiefung ihres menschlichen Seins.
Was früher gültig war, wird heute nicht mehr akzeptiert und als Werteverlust deklariert. Während früher nach Bedeutungsinhalten im menschlichen Tun gesucht wurde, geht es heute eher um die Frage nach Transzendenz, einem Überschreiten aller Gegensätze. Bewusst oder unbewusst suchen wir nach neuen Möglichkeiten unseres menschlichen Daseins. Immer mehr Menschen ahnen, dass wir auf dieser Welt eine gemeinsame Basis finden müssen, eine gemeinsame Wirklichkeit, die jede individuelle Wirklichkeit übersteigt. Dabei kann es nicht um die Herrschaft einer einzigen Religion gehen oder eine neue Weltideologie. Jesus war schließlich nicht katholisch und Buddha war kein Buddhist. Beide haben ihr religiöses Verständnis radikal erweitert, sie haben es transzendiert. Ich glaube, wir sollten von der Außenperspektive „ich bin hier“ und „Gott ist dort“ Abschied nehmen und zu einer Innenperspektive ohne Absolutheitsanspruch gelangen. Die Geschichte lehrt uns, dass selbst friedliche Kulturbewegungen immer dann zum Scheitern verurteilt waren, wenn Absolutheitsansprüche am Werke waren. Ich meine, es geht um das Finden unserer wahren Identität, um die Essenz dessen, was wir wirklich sind.
Das Märchen von Dornröschen mag dies verdeutlichen. Zwölf Feen wurden bei ihrer Geburt eingeladen, die dreizehnte jedoch vergessen. So spricht sie einen Zauberspruch und alle versinken in tiefen Schlaf. Nach vielen Jahren dringt jedoch ein Prinz in das verwunschene Schloss ein und erweckt die Prinzessin zu neuem Leben. Dieses Märchen enthält eine wichtige Botschaft für uns. Wir haben die ganze Welt eingeladen, das wichtigste jedoch vergessen, unser bewusstes Lebendigsein. So gleicht unser Leben einem Schlaf, aus dem wir aufwachen müssen. Leben ist letztendlich ein Bewusstwerdungsprozess. Ich glaube, der Sinn des Lebens ist das Leben selbst, jenseits aller Bedeutungskonstruktionen, jenseits aller Namen und Bezeichnungen, die wir dafür erfunden haben. Ein alter Meister hat einmal gesagt: „Himmel und Erde und Ich sind von derselben Wurzel.“
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Trügerischer Besitz
Es gibt Augenblicke, da denken wir darüber nach, warum es so viele Kriege auf dieser Welt gibt. In den letzten dreitausend Jahren fanden ständig Kriege statt. Historiker sprechen von vierzehntausend Auseinandersetzungen. Warum, so fragen wir uns, so viele Kriege? Weil wir Menschen haben wollen. Wir wollen Einfluss haben, Macht und Ansehen. Wir verteidigen unsere Meinungen, wenn es sein muss, auch mit Gewalt. Sobald Haben-Wollen oder Nichthaben-Wollen auftaucht, geraten wir innerlich unweigerlich in Streit. Sobald wir besitzen, kämpfen wir, denn wir wollen es nicht verlieren. Wirkliche Veränderung auf dieser Welt, so meine ich, geschieht nur dann, wenn sich unsere Einstellung den Dingen gegenüber verändert, wenn sich die „Besitzer“ verwandeln. „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Reich Gottes eingeht“, lesen wir in der Bibel. Was wir durch unseren Verstand retten wollen, werden wir früher oder später wieder verlieren. Im Grunde können wir überhaupt nichts besitzen, denn alles gehört dem Ganzen. Wir können es lediglich benutzen, mehr nicht. Wir können die Dinge gebrauchen, ohne unser Herz an sie zu hängen. Im Grunde genommen sucht unser Verstand ständig danach, dies oder jenes zu erreichen. Er ist nie zufrieden. Er ist unser innerer Kämpfer. Dadurch bauen wir unser Ego auf. Ego braucht immer Kampf.
Unser Unglück ist: Auch wenn wir jemanden lieben, beginnen wir, ihn besitzen zu wollen. Doch Leben kann nicht vereinnahmt werden. Liebe, die besitzen will, tötet. Immer, wenn wir streiten, wird unser Leben in zwei Teile geteilt, es wird getötet und stirbt. Wir werden krank durch uns selbst, neurotisch und gespalten. Veränderung geschieht durch den Augenblick. Leben will gelebt werden, sonst entgleitet es uns und wir können weder richtig leben, noch richtig sterben.
W. Walter E'un-Ken www.zen-walter.de
Das Leben ist ein Fluss
Es gibt Augenblicke in unserem Leben, da könnten wir aus der Haut fahren. Alles regt uns auf. Nichts ist so wie es sein sollte. Gedanken ziehen uns hierhin, die Gefühle dorthin. Unser Leben ist zerrissen, der Alltag frisst uns auf. Das Leben scheint sinnlos zu sein. Es erscheint uns wie ein alter Film, den wir schon in- und auswendig kennen.
Es gibt aber auch Augenblicke, die ganz anders sind, Augenblicke tiefer innerer Ruhe. Das sind die Momente, wo unser Denken zur Ruhe gekommen ist. Wenn wir an diesem Punkt ganz aufmerksam in uns hineinspüren, entdecken wir, dass sich alles in einem ständigen Wandel befindet. Unser Leben ist wie ein Fluss, doch wir haben Angst, mitzufließen. Das angeblich sichere Ufer gibt es nicht. Probleme entstehen nur durch unser Festhalten. Wer sich an seinen Kindern festmacht, hat mit den Kindern Probleme. Wer sich am Geld festmacht, hat mit dem Geld Probleme. Wer sich an Religion festmacht, hat mit der Religion Probleme. Wir tun uns schwer, das Leben so zu nehmen wie es ist. Wir sehen es eben nur durch die eingefärbte Brille unseres Verstandes. Doch es gibt einen Ausweg – und das ist der Augenblick. In der lebendigen Wahrnehmung des Augenblicks finden wir Sinn und Erfüllung in unserem Leben. Der Sinn des Lebens, so glaube ich, ist das Leben selbst, so wie die Schönheit der Blume im Blühen liegt. Die Vergänglichkeit des Lebens hilft uns, tiefer in das große Geheimnis Leben einzudringen.
Wir haben die Wahl, im Augenblick zu leben oder in gedanklicher Zukunft. Wir sollten bedenken: Nur im Jetzt können wir wirklich glücklich sein, im Gestern und im Morgen ist es nicht möglich. Gestern und morgen sind nur Gedankenkonstruktionen, um unser Leben zu organisieren, nicht aber, um glücklich zu sein.
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Die Zukunft des Menschen
Manche Menschen erleben zu einem gewissen Zeitpunkt in ihrem Leben eine Kette von Krisenerfahrungen. Was tun? Jugendlichkeit vortäuschen? Sich in alle möglichen Aktivitäten stürzen? Verdrängen? Die Zielvorstellungen verlangen eine Überprüfung. Es kann nicht so weitergehen wie bisher. Die Gesellschaft bietet uns keine Möglichkeiten zur Neuorientierung. Das bedeutet, dass die Lebensführung jetzt von jedem Einzelnen entschlossen in die Hand genommen werden muss. Dabei geht es im Wesentlichen um die Qualität des Lebens. Der Schwerpunkt des Lebens rückt von außen nach innen. C. G. Jung hat es so formuliert: „Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht.“ In der ersten Lebenshälfte überwiegt die Aufgabe der Anpassung an die Außenwelt: Kindergarten, Schule, Beruf, Familie, Karriere, Urlaub usw. Je mehr der Mensch jedoch in die zweite Lebenshälfte hineinwächst, desto wichtiger wird für ihn das Erschließen der Innenwelt, das „in sich gehen“ bedeutet. Der Himmel ist in uns. In der ersten Hälfte können und sollen wir leben, ohne zu viel über das Leben nachzudenken, denn unsere erste Aufgabe ist, zu leben und dadurch zu wachsen. Aber in der zweiten Hälfte tritt die Forderung an uns heran, uns um den Sinn unseres Lebens zu bemühen. Die mentalen Fähigkeiten stellen nicht die Grenze der Möglichkeiten des menschlichen Geistes dar. Es gibt noch weit darüber hinausreichende Dimensionen, die über das Physische, Psychische und Rationale des Menschen hinausführen. Immer mehr wird erkannt, dass die Ratio nicht die letzte Deutung der Existenz bringen kann, und immer mehr Menschen gelingt es, die rationale Schranke zu durchbrechen und die Tür in die neue Dimension aufzustoßen. Viele ahnen, dass es vor ihnen ein Festland gibt, auf dem es sich besser leben lässt. Sie sind wie Schwimmer, die eine bekannte Insel verlassen, in der Gewissheit, dass in der eingeschlagenen Richtung etwas Besseres liegt. Die Insel hinter ihnen ist außer Sicht und das Festland noch nicht in Sicht. Aber sie vertrauen Menschen, die auf dem neuen Festland angekommen sind und ihnen zurufen: es sich lohnt, weiter zu schwimmen. Karl Rahner, der große Theologe des letzten Jahrhunderts hat gesagt: „Die Zukunft des Menschen wird eine mystische sein, oder er wird keine Zukunft haben.“ Könnten wir in jedem Augenblick unseres Lebens in das Unbekannte eintreten, wären wir frei. Das Unbekannte ist ein Feld unendlicher Möglichkeiten, ein Feld reinen Potentials, das, was wir wirklich sind.
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Evolution des Bewusstseins
Die Evolution ist nicht zu Ende. Auch das mentale Bewusstsein, mit dem wir heute auf dem Planeten Erde herumlaufen, entwickelt sich weiter. Betrachten wir die Geschichte, sehen wir, dass Bewusstseinsveränderung den Menschen immer schon weiter gebracht hat, während Menschen, die sich diesem Prozess nicht unterzogen haben, auf der Strecke geblieben sind. Der Prozess begann mit dem archaischen Bewusstsein. Das war eine Zeit vor dem Dualismus, vor dem intellektuellen Wissen und vor dem mentalen Ego-Bewusstsein. Der Mensch erfuhr sich als ununterscheidbar von der Welt, d.h., es fehlte ihm die klare Unterscheidung zwischen sich und der Natur. Darauf folgte das magische Bewusstsein. Wir begannen, uns unserer getrennten Existenz bewusst zu werden und erwachten zu unserer Endlichkeit. Doch ab jetzt waren wir mit dem Stigma des Todes behaftet. Vor etwa zehntausend Jahren traten wir Menschen in das mythische Bewusstsein ein. Wir erfanden verschiedene Wege, den Tod zu leugnen oder zu verdrängen. Einer davon bediente sich der Zeit. Der Tod ist für die meisten Menschen ein Zustand von „ohne Zukunft sein“. Ganz offensichtlich hat etwas, das stirbt, keine Zukunft. Leugnet der Mensch jedoch den Tod, dann hat er eine Zukunft, dann hat er Zeit. Den Tod zu verdrängen bedeutet also, eine Zukunft zu haben. Der Mensch hat die Zeit entdeckt. Um den Tod zu vermeiden, stellt sich der Mensch sein Ich als ein Wesen vor, das in der Zeit voranschreitet, denn er möchte sich ja auch morgen noch auf dieser Welt antreffen. Zeit erlaubt uns die Illusion, weiter und immer weiter leben zu können. So lebt der Erbauer der Pyramiden und der Gehaltsempfänger von heute mit seiner Krankenversicherung und seiner Rente in einer Art von planendem Ackerbau-Bewusstsein. Zwischen dem ersten und zweiten Jahrtausend vor Christus entwickelte der Mensch die Fähigkeit rationalen und logischen Denkens weiter. Das mentale Ego-Bewusstsein führte den Blick nach innen, zur Selbstanalyse. Doch das ist nicht die höchste Bewusstseinsform, die wir erreichen können. Vor uns liegen noch die Bereiche des Überbewussten. Im Vergleich dazu ist unser heutiges mentales Ego nur ein Tüpfelchen Nichts. Die Zeiten, in denen wir uns mit den begrenzten Anlagen unseres mentalen Bewusstseins zufrieden geben können, sind vorbei. In der heutigen Zeit können wir es uns nicht mehr leisten, den Bereich des Numinosen, des Transpersonalen aus unserem Menschsein auszuklammern. „Es ist nicht das Unbekannte, vor dem wir Angst haben müssen, es ist das Bekannte, das wir fürchten sollten.“ (D. Chopra)
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